In der Spiegel-Ausgabe Nr. 11 vom 10.3.2018 ist ein Bericht über den Fussballer Per Mertesacker erschienen, der auf ein breites Echo gestossen ist und seither sehr kontrovers diskutiert wird.
Per Mertesacker wird Ende Mai seine Profikarriere nach 15 Jahren und über 500 Spielen beenden. Mit Deutschland wurde der 1,99m grosse Innenverteidiger 2014 Weltmeister, 2011 wechselte er von Werder Bremen in die Premier League zu Arsenal London. Später wurde er gar zum Captain ernannt.
Im Spiegel-Interview offenbarte er nun erstmals Einblicke in sein "Seelen-Leben" als Profi-Fussballer und über den ungeheuren Druck, den er während seiner Karriere verspürte.
Erinnern Sie sich noch an die Weltmeisterschaften 2006 in Deutschland, welche als "Sommer-Märchen" in die Geschichte eingingen? Für Mertesacker waren diese Wochen alles andere als "märchenhaft". Über das Ausscheiden im Halbfinale gegen Italien sagt er heute:
"Klar war ich auch enttäuscht, als wir gegen Italien im Halbfinale ausgeschieden sind, aber vor allem war ich erleichtert. Ich weiss es noch, als wäre es heute. Ich dachte nur: Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei. Der Druck hat mich aufgefressen. Dieses ständige Horrorszenario, einen Fehler zu machen, aus dem dann ein Tor entsteht."
Mertesacker erzählt auch offen über die riesige Anspannung vor den Spielen: Über schlaflose Nächte, über den Brechreiz, den er Sekunden vor dem Anpfiff jeweils verspürte. Doch all dies hat Mertesacker während all den Jahren verheimlicht und kaschieren können, selbst seiner Partnerin, seiner Familie und seinen Freunden gegenüber hat er dies nie angesprochen. Er kritisiert auch die Presse und vergleicht die Journalisten mit Aasgeiern. Hätten sie früher bei Werder Bremen verloren, seien am Sonntag danach drei Kameratrainings beim Training vor Ort gewesen, hatten sie gewonnen, blieb die Presse fern.
Klar ist: Der heutige Profi-Fussball hat nichts mehr mit Romantik zu tun, sondern ist ein knallhartes Millionengeschäft. Ablösesummen und Gehälter sind explodiert, die Medienlandschaft ist rauer geworden, die "Fans" lassen ihr Team gnadenlos spüren, wenn sie mit dem Auftreten nicht zufrieden sind. Es muss Woche für Woche, Spiel für Spiel Leistung erbracht werden und um Verletzungen richtig auszukurieren, bleibt eigentlich keine Zeit. Der Traumberuf "Fussballer" hat auch viele Schattenseiten...
Was Mertesacker anspricht, ist eine System-Kritik. Doch selbst hat er dieses "Spiel" all die Jahre mitgespielt. Er hat keine Lösungen gesucht, um mit dem Druck besser umgehen zu können, sondern hat eine heile Welt vorgespielt. Aus Angst als Schwächling dazustehen, wenn man mentale Hilfe in Anspruch nehmen würde. Dies zeigt die "Macho-Kultur", welche gerade im Fussall weit verbreitet ist. Anstatt sich mental weiterzuentwickeln, versteckt man sich hinter Sonnenbrillen, dicken Kopfhörern und Tätowierungen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Schwächen einzugestehen und daran zu arbeiten ist eine Stärke. Wenn man bspw. lernt die Dinge in einer ganz anderen Perspektive anzuschauen und mit einer anderen Einstellung auf den Platz geht, wird der Druck nachlassen und man kann wieder mit Freude auf den Platz gehen.
Warum sich Mertesacker nun unmittelbar vor dem Ende seiner Karriere so offenbart hat? Er möchte etwas hinterlassen "für die nachfolgenden Generationen" und weiter "ich will das System angreifen." Im Sommer wird er - nach dreimonatiger Auszeit - die Nachwuchsakademie von Arsenal London übernehmen...